Interview Kerstin Will, Ministerialrätin NRW
Interview Frauen im DVW am 09.06.2022
09.06.2022 | Erftstadt | Frau Kerstin Will ist die neue Ministerialrätin NRWs. Die ehemalige Leiterin der Abteilung 7 – Geobasis.NRW ist die Nachfolgerin von Herrn Kremers. Wir trafen uns in einer lockeren Atmosphäre, wo ich Frau Will meine Fragen stellen konnte.
Frau Will, wie sieht ihr typischer Tagesablauf aus? Was ist ihr Aufgabenspektrum?
Einen typischen Tagesablauf habe ich noch nicht, weil ich ja erst am 02.05.2022 meine Stelle im Ministerium des Innern NRW angetreten habe und mich noch in der Einarbeitung befinde. Die besondere Herausforderung lag erstmal darin, den Arbeitsplatz mit allen seinen technischen Anforderungen einzurichten. Die gewohnte Routine im täglichen Arbeitsumfeld nach über 13 Jahren in der Bezirksregierung Köln bei Geobasis NRW ist erstmal weg und man beginnt fast von vorne, wird aber natürlich vom neuen Team und der neuen Behörde bei allem unterstützt.
Parallel dazu „stürzen“ natürlich die Erwartungen an die neue Referatsleitung für das Referat 37 „Amtliches Vermessungswesen, Geobasisdaten, Geodatenmanagement“ auf einen herein.
Sie fragen nach dem Aufgabenspektrum. Das Referat hat insbesondere die Aufgabe in Grundsatzangelegenheiten des amtlichen Vermessungswesens die erforderlichen Entscheidungen zu treffen. Und zwar nicht nur in NRW, sondern auch was die Zusammenarbeit mit den anderen Ländern und dem Bund, also in der AdV, angeht oder auch in Europa.
Zu aller erst kümmere ich mich natürlich um die Ressourcen, also Stellen und Finanzen, für die öffentliche Vermessungs- und Katasterverwaltung im Geschäftsbereich des IM NRW. Denn ohne Ressourcen kann die Aufgabenerledigung nicht sichergestellt werden.
Dann geht es um die Koordinierung der Aufgabenwahrnehmung der Landes- und Kommunalbehörden sowie anderer Vermessungsstellen in den Bereichen Landesvermessung und Liegenschaftskataster in NRW. Aber auch um die Wahrnehmung der Aufsichtsaufgaben als oberste Landesbehörde.
Ein wesentlicher Bestandteil ist die Schaffung der Rechtsgrundlagen für das amtliche Vermessungswesen. Ein Schwerpunkt lag und liegt in neuen und angepassten Vorschriften für die Ausbildung, Prüfung und Fortbildung des geodätischen Fachpersonals vor dem Hintergrund des Nachwuchskräftemangels. Unser Berufsbild muss attraktiver und auch durchlässiger für andere Ingenieurausbildungen werden, damit wir dem demographischen Wandel und dem Fachkräftemangel entgegenwirken können.
Nicht zuletzt gilt es die anderen Dienststellen des Landes bei der Verwendung von Geobasisdaten der Landesvermessung und des Liegenschaftskatasters zu unterstützen, damit sie das amtliche Vermessungswesen als Infrastruktureinrichtung verstehen und damit arbeiten. Gerade jetzt in unserer krisengeschüttelten (Corona-Pandemie, Hochwasser-Katastrophe, Ukraine-Krieg) Gesellschaft wurde deutlich, wie wichtig eine standardisierte, landesweit verfügbare Geobasisdateninfrastruktur für raum- und bodenbezogene Informationssysteme, überregionale Planungen und alle raumbezogenen Maßnahmen ist.
Welche Kompetenzen sind für Ihre Tätigkeit unerlässlich?
Das Besondere sehe ich in der Kombination von angewandten Ingenieurwissenschaften und dem rechtlichen Beitrag für die Gesellschaft. Außerdem haben wir den gesetzlichen Auftrag, unsere Aufgabenerledigung ständig dem Fortschritt von Technik und Wissenschaft anzupassen. D.h. wir beobachten die technische Entwicklung und die Forschung und nutzen neue Erkenntnisse, indem wir die Machbarkeit in Projekten untersuchen und zur Praxisreife weiterentwickeln. Auf diese Art und Weise haben schon viele neue Verfahren Eingang in unsere Aufgabenerledigung gefunden und wir haben eine Vorreiterrolle für neue Techniken und Digitalisierung in der Verwaltung übernommen.
- Was macht Ihnen am meisten Spaß, was macht weniger Freude?
Die Zusammenarbeit mit den Menschen aus den unterschiedlichsten Anlässen aufgrund des großen Aufgabenspektrums, die Entwicklung gemeinsamer Ziele und die gemeinsame Lösung der verschiedensten Herausforderungen.
Man kann es nicht allen Recht machen, schon gar nicht in so einer Position. So steht man das ein oder andere Mal vor Entscheidungen, die weniger Freude machen und einsam machen können.
Aber ich habe gelernt und akzeptiert, mit solchen Situationen umzugehen.
- Entspricht diese Tätigkeit Ihrer Vorstellung von dem idealen Job?
Grundsätzlich ja. Allerdings sollten Sie mir die Frage zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal stellen, wenn ich auf mehr Erfahrung in der aktuellen Position zurückblicken kann.
- Welche Kompetenzen sind für Ihre Tätigkeit unerlässlich?
Neben der geforderten Fachkompetenz wird insbesondere Führungs- und Kooperationskompetenz, aber auch strategische Kompetenz erwartet.
Ich bringe von allem etwas aufgrund meiner langjährigen Berufserfahrung in allen Facetten des amtlichen Vermessungswesens mit, ob es reicht, wird sich zeigen … ;-)
Wie sehen Ihre Arbeitsbedingungen aus? (z. B. zeitliche, materielle Aspekte wie Mobilität, Vereinbarkeit Familie-Beruf sind oft in den Nachfragen der Studierenden auch von Interesse)
Bestens! Telearbeit an bis zu 2 Tagen in der Woche verschaffen mir weniger Fahrzeiten, da ich rd. 65 km von der Behörde entfernt wohne. Das bringt Lebensqualität. In Pandemiezeiten waren die Telearbeitszeiten natürlich ausgedehnter. Die täglichen Arbeitszeiten sind darüber hinaus sehr flexibel in einem Zeitrahmen von 6:30h bis 20:00 h gestaltbar, natürlich nur, wenn dienstliche Gründe dem nicht entgegenstehen. Was heißt das? Das heißt, ich bin Beamtin des Landes NRW, wenn der Dienstherr mich braucht, z.B. im Krisenstab, dann stehe ich zur Verfügung. Das soll jetzt nicht pathetisch klingen, sondern entspricht der Realität. Und ich wünschte mir, dass jeder im öffentlichen Dienst so denkt.
Welche Erwartungen haben Externer von Ihnen? (Kunden, Öffentlichkeit usw.)
Ich habe eingangs erwähnt, dass gerade jetzt parallel zur Einarbeitung die Erwartungen auf mich „einstürzen“.
Fragen, wie
- Wie geht NRW mit der Gebäudeeinmessungspflicht weiter um?
- Wann kommen lang ersehnte Erlasse, allen voran der Gewässererlass?
- Wie unterstützt das Land die Katasterbehörden bei und nach der Umstellung auf die neue ALKIS-Generation?
- Wann und wie wird das Land die Voraussetzungen für medienbruchfreie Liegenschaftsvermessungen schaffen?
haben nicht lange auf sich warten lassen und wurden sowohl von den kommunalen Spitzenverbänden als auch von den Berufsverbänden an mich herangetragen.
Aber auch die landesinternen Anforderungen, wie z.B. welchen Beitrag können die Vermesser zur besseren Prävention vor und Unterstützung in Krisensituationen leisten oder welche Best-practice-Beispiele liefern die Geodäten für die Digitalstrategie des Landes?
Welche Erwartungen die Öffentlichkeit hat, da bin ich mir nicht so ganz sicher. Und deshalb habe ich mir auch zum Ziel gesetzt, uns bekannter zu machen. Unsere Angebote und Leistungen begreifbarer und greifbarer zu machen. Da gibt es viel zu tun!
Den ersten Schritt hat NRW bereits mit der Nachwuchskampagne geodäsie.nrw getan und der 1. Erlebnistag am 21.06.2022 in Bonn steht kurz bevor. Er steht unter der Schirmherrschaft unseres Ministers Herbert Reul und richtet sich insbesondere an Schüler:innen. Denn unseren dringend benötigten Nachwuchs, müssen wir bereits in den Schulen für uns begeistern!
Was machen Sie heute anders als zu Beginn Ihrer Tätigkeit?
Ich bin vielleicht nicht mehr ganz so impulsiv oder lasse es zumindest nicht mehr direkt heraus, sondern überdenke meine Äußerungen und Aktivitäten erst noch einmal
Allerdings gelingt mir das nicht immer bis zum nächsten Tag nach dem Motto, man soll ja noch eine Nacht drüber schlafen J
Ich bilde mir ein, dass ich wesentlich kompromissbereiter geworden bin und versuche, alle Meinungsbilder vor einer Entscheidung ausgewogen zu betrachten und ich bin durchaus bereit, auch meinen eigenen Standpunkt zu revidieren, wenn es überzeugende Gründe dafür gibt. Aber auch nur dann! J
Wie beurteilen Sie aus heutiger Sicht Ihr Studium: Was war relevant für Ihre berufliche Entwicklung, was hat Ihnen gefehlt?
Das ist schon sooo lange her! Aber eins ist mir im Gedächtnis geblieben. Die Aspekte des amtlichen Vermessungswesens sind absolut zu kurz gekommen. Die Entscheidung für das Referendariat war eigentlich der Tatsache geschuldet, dass Ende der Achtziger Jahre die Stellenangebote ohne diese Zusatzqualifikation nicht gerade reich gesät waren und nicht, weil mich das Studium in diese Richtung gelenkt hätte. Die Inhalte und Zielsetzung der Laufbahnausbildung für den höheren vermessungstechnischen Verwaltungsdienst sind mir erst währenddessen bewusstgeworden, ebenso wie die Erkenntnis, dass die Entscheidung dazu die richtige gewesen war. Allerdings muss ich auch zugeben, dass ich im ersten Jahr kurz davor war, aufzugeben. Nicht, weil mir die Anforderungen zu hoch waren, sondern weil ich nicht im Kataster „verstauben“ wollte.
Was würden Sie heute/ jetzt studieren, wenn Sie die Möglichkeit dazu hätten?
Wieder Geodäsie, ich habe es nie bereut! Die einzige Alternative wäre Veterinärmedizin.
Und was würden Sie heute Ihrem jüngeren Selbst empfehlen?
Keep cool! Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Allerdings möchte ich meinen Tatendrang und mein Engagement nicht missen.
Welche 3 Bücher haben Sie am meisten beeinflusst?
„Hagebusch I bis III“? Ehrlich? Keine Ahnung. Vermutlich war es ein Bildband von Sielmann oder meine Latein-Lehrbücher, die habe ich heute noch. Sie merken, obwohl ich wirklich viel gelesen habe, ist die klassische Literatur nicht wirklich mein Ding.
Wenn Sie eine berühmte Persönlichkeit – egal ob lebendig oder tot – treffen dürften: Wer wäre es und warum?
Früher hätte ich immer gesagt „Barack Obama“, aber das sagen so viele … Ich war damals einen Tag vor seiner Wahl in New York und diese „Yes, we can!“-Stimmung hat mich in ihren Bann gezogen. Ich fand diesen Mann faszinierend, der es als erster Farbiger geschafft hat, US-Präsident zu werden. Mich hätte interessiert von ihm zu hören, wie er seine Vorstellungen und Visionen mit der Realität in Einklang gebracht hat oder besser bringen konnte. Aus dem gleichen Grund würde ich jetzt lieber Angela Merkel treffen und sie fragen, wie Sie ihr Amt als Bundeskanzlerin all die Jahre ertragen konnte.
Zum Abschluss, weil bald Urlaubszeit ist: Wenn Sie sich ein Land aussuchen könnten: In welchem würden Sie gerne leben?
Puh! Also, ich lebe sehr gerne in Deutschland. Dieses Land hat so viel zu bieten und es gibt so viele Ecken, die ich noch erkunden möchte. Im Frühjahr war ich zum ersten Mal auf Rügen und das hat mir sehr gut gefallen. Ich bin aber auch den Bergen verbunden, weil ich dort gerne wandere.
Von der Mentalität der Menschen würden mir die Schweden genauso zusagen, wie die Italiener, genauso geht es mir bei den Landschaften dieser beiden Länder. Also bleibe ich in der Mitte und kann beide besuchen.
Das wichtigste ist mir jedoch, dass ich in einem freien und friedlichen Land leben kann und die um mich habe, die mir wichtig sind!
Die Zukunft klingt also spannend! Viel Erfolg und vielen Dank für das Gespräch!
Georgia Giannopoulou für die Frauen im DVW, 2022